Ein Jahr als Chefärztin im Zentrum für Altersmedizin
Zusammenfassung: Seit Februar 2022 ist Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid leitende Chefärztin am Zentrum für Altersmedizin im kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg am Inn. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist ausgewiesene Demenz-Expertin und war vor ihrer Arbeit im kbo-Inn-Salzach-Klinikum über viele Jahre am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München tätig. Dort leitete sie das Zentrum für Kognitive Störungen mit einer der größten Gedächtnisambulanzen Deutschlands. Über 200 Veröffentlichungen als Erst- und Co-Autorin hat sie zu demenziellen Erkrankungen verfasst. Im Interview erzählt sie über Demenz, über ihre Beweggründe, in diesem Fachbereich fachlich weiterzuwachsen, und über ihr erstes Jahr am kbo-Inn-Salzach-Klinikum.
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Frau Prof. Dr. Diehl-Schmid, Ihre Schwerpunkte sind die Diagnostik, die Therapie und Versorgung von Menschen mit demenziellen Erkrankungen in allen Krankheitsstadien. Was unterscheidet demente Patientinnen und Patienten von jenen mit anderen psychischen Krankheitsbildern? Und was macht die Demenz als psychische Erkrankung so einzigartig – was passiert da im Gehirn?
Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid – J. D.-S.: Im Gegensatz zu allen anderen psychischen Erkrankungen wissen wir, dass bei den Demenz-Erkrankungen krankhafte Veränderungen der Nervenzellen im Gehirn ursächlich für die Erkrankung und die Symptome sind. Bei der häufigsten Demenz-Ursache, der Alzheimer-Krankheit, sterben nach und nach Gehirnzellen ab. Zunächst vor allem in denjenigen Bereichen des Gehirns, die für Lernen und Gedächtnis zuständig sind. Nicht selten verursachen auch Durchblutungsstörungen im Gehirn Schädigungen der Nervenzellen, so dass diese in ihrer Funktion eingeschränkt sind.
Die meisten Demenz-Erkrankungen beginnen sehr schleichend mit einer leichtgradigen Vergesslichkeit, die dann mit der Zeit zunimmt. Zunächst ist üblicherweise das Kurzzeitgedächtnis betroffen, im weiteren Verlauf ist auch das Langzeitgedächtnis zunehmend eingeschränkt. Dazu kommen dann Störungen der Sprache und anderer Hirnleistungen wie Rechnen, Lesen aber auch Orientierung. Im weiteren Verlauf treten häufig auch psychologische und Verhaltenssymptome auf sowie neurologische Symptome, zum Beispiel Gangstörungen oder Schluckstörungen.
Warum haben Sie sich auf Ihrem beruflichen Weg für die Spezialisierung in der Gerontopsychiatrie entschieden?
J. D.-S.: Die Gerontopsychiatrie ist kein einfacher Bereich. Schließlich will man als Ärztin Erkrankte heilen. Doch wenn ich Menschen mit demenziellen Erkrankungen begleite, weiß ich, dass ihre Krankheit eben nicht heilbar ist. Trotz jahrzehntelanger Forschung gibt es bislang keine Medikamente, um das Fortschreiten einer Demenz deutlich zu bremsen oder gar zu stoppen. Daher ist es umso wichtiger, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten. Und das ist es, was mich motiviert. Denn im Vordergrund der Behandlung steht für mich die Zufriedenheit der Menschen mit Demenz. Mit der richtigen Behandlung, Betreuung und Unterstützung, die jeweils an das Stadium der Erkrankung und die individuellen Bedürfnisse angepasst werden muss, können wir enorm viel dazu beitragen, dass Menschen mit Demenz trotz Erkrankung eine gute Lebensqualität gegeben ist.
Zu Beginn einer Demenz-Erkrankung ist die korrekte diagnostische Einordnung notwendig. Diese schafft für den Patienten Klarheit und ist Voraussetzung für die passende medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapie. Ziel ist zunächst, das Nachlassen der kognitiven Leistungsfähigkeit so gut wie möglich zu bremsen. Im weiteren Verlauf geht es dann häufig darum, psychologische Symptome, wie etwa depressive Verstimmung, Antriebsstörung oder auch Schlafstörungen, zu therapieren.
Viele Menschen mit Demenz profitieren in diesem Krankheitsstadium vom Besuch einer Tagesstätte oder Tagespflegeeinrichtung. Unterstützung bei der Pflege, möglicherweise auch der Umzug in ein Heim, kann die Lebensqualität positiv beeinflussen. Bei fortgeschrittener demenzieller Erkrankung in der letzten Lebensphase ist das Ziel, mit Psychopharmakotherapie und auch nicht-medikamentösen Maßnahmen unangenehme Symptome wie Schmerzen, Angst und Unruhe zu lindern und das maximale Wohlbefinden des Menschen mit Demenz sicherzustellen.
Ihre Priorität liegt unter anderem auch darauf, die Angehörigen bei der Behandlung von Patienten miteinzubeziehen, sie zu beraten und zu begleiten. Warum ist das so wichtig?
J. D.-S.: Gut aufgeklärte Betroffene und ihre pflegenden Angehörigen können besser mit einer Demenz-Erkrankung umgehen. Ist das Umfeld gut integriert und informiert, können wir ein stabilisierendes Therapie- und Betreuungskonzept für den Menschen mit Demenz entwickeln.
Außerdem gilt: Ist der Angehörige überfordert, so überträgt sich das auch direkt auf den Menschen mit Demenz. Und tatsächlich kann man im Umgang mit Menschen mit Demenz vieles falsch, aber eben auch vieles richtig machen. Daher ist es von großer Wichtigkeit, die Angehörigen aufzuklären, ihnen die Erkrankung und ihre Auswirkungen auf den Menschen mit Demenz zu erklären und ihnen Tipps für den Umgang mit dem Patienten zu geben.
Gleichzeitig müssen wir immer wieder darauf hinweisen, wie wichtig es ist, dass die Angehörigen auch auf sich selbst achten. Sie sollten sich nicht zu sehr unter Stress setzen, für ihr eigenes Wohlbefinden sorgen, Entlastungsmöglichkeiten wahrnehmen, Pausen von der Betreuung und Pflege einlegen und auch mal Fünfe gerade sein lassen dürfen.
Welche persönlichen Fähigkeiten muss ein angehender Arzt oder eine angehende Ärztin in Ihren Augen mitbringen, wenn er oder sie sich auf die Gerontopsychiatrie spezialisieren will?
J. D.-S.: Dass man ältere Menschen leiden mag, ist durchaus hilfreich. (lacht) Vielleicht benötigt der Gerontopsychiater – verglichen mit den anderen psychiatrischen Subdisziplinen – ein noch etwas breiteres Wissen in Hinblick auf allgemeinmedizinische, neurologische und palliative Inhalte.
Ansonsten denke ich, dass die Qualitäten des Gerontopsychiaters sich nicht sonderlich von denjenigen anderer Fachrichtungen unterscheiden: Neben fachlicher Kompetenz sind Gewissenhaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein unabdingbare Voraussetzungen. Ganz besonders, weil die Patienten oftmals nicht mehr in der Lage sind, ihre eigenen Fürsprecher zu sein und damit ihr Wohlergehen wirklich ausschließlich in den Händen des Behandlungsteams liegt.
Empathie und Freundlichkeit – übrigens nicht nur im Umgang mit den Patienten, sondern auch mit allen Teammitgliedern – spielen eine wichtige Rolle. Und mit ein bisschen Humor fällt der Zugang zu den (alters-)psychiatrischen Patienten meist leichter …
Sie sind nun genau ein Jahr im kbo-Inn-Salzach-Klinikum und leiten das Zentrum für Altersmedizin, kurz ZAM. Wie sind Ihre Eindrücke nach dieser Zeit – vom Team, der interdisziplinären Zusammenarbeit?
J. D.-S.: Ehrlich gesagt, waren die ersten Monate sehr anstrengend. Die ärztliche und psychologische Besetzung war zugegebenermaßen knapp. Glücklicherweise konnte ich auf wirklich großartiges Pflegepersonal zählen, das mit seiner Erfahrung vieles kompensiert hat. Mittlerweile sind aber alle fünf Stationen des ZAM ärztlich und psychologisch so gut besetzt, dass wir den Bedürfnissen der Patienten mehr als gerecht werden können. Neben den psychischen Symptomen liegen ja bei den teils hochbetagten Patienten auch viele neurologische und internistische Begleiterkrankungen vor. Ich bin hier sehr froh, dass meine erfahrenen Oberärztinnen und -ärzte die notwendige neurologische und internistische Expertise mitbringen.
Die Assistenzärztinnen und -ärzte im ZAM legen sich täglich aufs Neue ins Zeug, die vielen Neuaufnahmen und Entlassungen zu managen, die Patienten zu diagnostizieren und zu therapieren und die Angehörigen zu informieren und zu beraten. Sehr bewährt hat sich auch, dass ich Psychologinnen einstellen durfte, die ganz besonders bei den Patienten mit Depression, Ängsten oder Schizophrenie, durchaus aber auch bei den demenzkranken Patienten angepasste psychotherapeutische Strategien anwenden.
Schon vor meinem Start im ZAM gab es ein unglaublich erfahrenes Team von Sozialpädagoginnen, das die Überleitung von der stationären Behandlung in die Häuslichkeit oder die stationäre Pflege perfekt koordiniert. Mit so vielen engagierten Mitarbeitern macht es jeden Tag Freude, in die Arbeit zu kommen.
Und gibt es perspektivisch etwas, das Sie für die Gerontopsychiatrie am kbo-Inn-Salzach-Klinikum vorantreiben wollen?
J. D.-S.: Nicht nur lange Wartelisten, sondern auch viele Anrufe von niedergelassenen Ärzten, Klinikärzten und Angehörigen zeigen mir, dass der Bedarf an Behandlungsplätzen deutlich größer ist als wir mit unseren rund 100 Betten im ZAM vorhalten können. Daher möchte ich unbedingt die ambulante Behandlung der älteren Patienten ausbauen – sowohl am kbo-Inn-Salzach-Klinikum als auch im Rahmen fachärztlicher Heim- und Hausbesuche.
Außerdem möchte ich die Gedächtnisambulanz am kbo-Inn-Salzach-Klinikum noch weiter vergrößern, die eine Abklärung von kognitiven Defiziten auf universitärem Niveau anbietet. Zudem steht für das Zentrum für Altersmedizin in den nächsten Jahren ein großer Umzug in den Neubau des kbo-Inn-Salzach-Klinikums an – es warten also einige große Projekte auf mein Team und mich. Und ich freue mich sehr darauf!